Wer zahlt schon gern Steuern? Ihre Notwendigkeit zur Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben zum Wohle aller wird kaum bezweifelt. Wohl aber die Gerechtigkeit des Steuersystems. Viele Bürger glauben, dass sie zu viel zahlen – obwohl inzwischen auch schon viele „Reiche“ meinen, dass sie mehr zahlen sollten. Aber was ist Steuergerechtigkeit?
Um diese Frage zu diskutieren, hatte die SPD im Landtagswahlkreis Wiesloch zu einer Veranstaltung nach Walldorf eingeladen. Der stellvertretende Kreisvorsitzende Roland Portner hatte mit Lothar Binding einen Experten als Referenten gewinnen können. Lothar Binding ist Mitglied im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages. Der Name des Referenten und die Polarisierung bei diesem Thema sorgten für ein volles Haus.
Konkreten Anlass zu einer vertieften Diskussion bot der jüngste Vorschlag des ehemaligen Verfassungsrichters Prof. Kirchhof (des „Professors aus Heidelberg“, wie ihn Gerhard Schröder einst genannt hatte) zur Vereinfachung des deutschen Steuersystems: danach soll es künftig statt mehr als 30 Bundessteuern nur noch vier Steuern geben: auf Einkommen, Umsatz, Erbschaften und Verbrauch.
Überraschenderweise lehnte Binding den Vorschlag nicht rundweg ab, sondern fand bedenkenswerte Elemente, insbesondere die Idee zur Abschaffung vieler Ausnahmen im deutschen Steuerrecht und die Reduzierung der Einkunftsarten. Die Ausnutzung komplizierter Regelungen erfordere meist einen Steuerberater – hier beginne bereits die Ungerechtigkeit, weil die Belastung durch die Steuer plötzlich davon abhänge, ob man sich einen Berater leisten könne.
Binding erklärte zur Einstimmung anschaulich wichtige Begriffe wie Freibetrag, Eingangs- und Spitzensteuersatz, Durchschnittssteuer, Progression und kalte Progression. Dann stellte er den Kirchhof-Vorschlag dar, der bei näherem Hinsehen so einfach aber nicht ist (siehe unser Foto mit dem dickleibigen Bundessteuergesetzbuch von Kirchhof). Binding erläuterte die wichtigsten Kapitel:
Privateinkommen: Für Einkommen soll ein Einheitssteuersatz von 25 Prozent gelten. Bei näherem Hinsehen ist diese „Flatrate“ („Pauschaltarif“) aber doch ein Stufentarif: Die ersten 8.000 Euro bleiben als Existenzminimum steuerfrei, hinzu kommen 2.000 Euro als „Vereinfachungspauschale“ für Erwerbskosten, danach steigt die Steuerlast in drei Stufen an: die folgenden 5.000 € werden nur zu 60%, die weiteren 5.000 € zu 80 % besteuert. Ab 20.000 Euro werden die vollen 25 Prozent fällig. Es gelten also die Stufen: Null %, 15 %, 20 % und 25%. Die Progression in der Einkommensteuer soll also entfallen.
Steuervergünstigungen und Einkunftsarten: Alle Steuervergünstigungen sollen abgeschafft werden, ebenso die Unterscheidung zwischen den heute noch sieben Einkunftsarten und die verschiedenen Steuersätze von 15 % Körperschaftssteuer auf den Gewinn einer Aktiengesellschaft oder GmbH und 25 % auf private Kapitalerträge (Abgeltungssteuer).
Unternehmensgewinne: Personen- und Kapitalgesellschaften sollen als „steuerjuristische Person“ einheitlich mit 25 % besteuert werden. Die Weitergabe (Ausschüttung, Gewinnentnahme) des vom Unternehmen versteuerten Gewinns an Gesellschafter oder Aktionäre soll steuerfrei erfolgen.
Gewerbesteuer: Die Gewerbesteuer wird abgeschafft. Stattdessen soll ein kommunaler Zuschlag auf die Einkommensteuer erhoben werden, den jede Kommune selbst festlegen darf.
Vorsteuerabzug: Bei der Umsatzsteuer wird der Vorsteuerabzug abgeschafft. Leistungen zwischen Unternehmen sollen grundsätzlich steuerfrei bleiben. Jeder Unternehmer muss die Steuer erst dann abführen, wenn der Kunde die Rechnung auch tatsächlich bezahlt hat, sog. „Ist-Besteuerung“.
Erbschaftsteuer: Für Erbschaften soll nur noch ein einheitlicher Steuersatz von zehn Prozent gelten. Erbschaften unter Ehegatten bleiben generell steuerfrei. Für Kinder gibt es Freibeträge von 400.000 €, für alle anderen Erben 50.000 €.
Ökologisch motivierte Verbrauchssteuer: Für den Verbrauch einzelner Güter, die die Allgemeinheit belasten, wie Energie, Tabak und Alkohol, wird eine Verbrauchssteuer erhoben. Diese Verbrauchssteuer ersetzt eine Vielzahl anderer Steuern, etwa auf Branntwein, Bier, Kaffee und Mineralöl.
Das alles klingt ziemlich einfach, hat aber auch negative Aspekte. Ein hervorstechender ist der, dass dem Fiskus durch die 25-Prozent-Pauschale jährlich 30 Mrd. Euro entgehen würden, die er dringend zur Erfüllung seiner Aufgaben und zum Schuldenabbau braucht. Außerdem wird heute bei hohen Einkommen um die 40 % Steuern bezahlt, nach Kirchhof wären das weniger als 25 % - ein „Programm zur Entlastung der Reichen, also ungerechter als heute“ so Binding.
Dieter Lattermann