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Mut kann nur haben

„Mut kann nur der haben, der auch die Furcht kennt“, sagt Willy Brandt, und fügt hinzu, „der andere ist nur tollkühn.“

Und wo finden wir die Quellen des Mutes? „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, antwortet Immanuel Kant auf die selbst gestellte Frage: Was ist Aufklärung?  Wir, jeder einzelne von uns, hört diesen Ruf. Durch die Zeiten hindurch sind wir dazu aufgerufen uns selbst zu fragen was können wir, was kann ich tun, damit das Mögliche Wirklichkeit wird?

In seinem siebenundzwanzigsten Brief „Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen“, beschreibt Friedrich Schiller, wie eine künftige Republik als „ästhetischer  Staat“, in einer wirklichen Gesellschaft entsteht, die in sich selbst freiheitlich gegründet ist: „Die Schönheit beglückt alle Welt und jedes Wesen vergißt seiner Schranken, solange es ihren Zauber erfährt.“ Dieses Glück „führt … zur Erkenntniß unter den offenen Himmel des Gemeinsinns heraus und verwandelt das Eigenthum (der Schulen) in ein Gemeingut der ganzen menschlichen Gesellschaft. … Hier also … wird das Ideal der Gleichheit erfüllt.“ (Die Horen, 1795)

Ein anderer Friedrich nimmt den Grundton der Freiheit neu auf: Friedrich Hecker, geboren in das soeben entstandene Baden, Landtagsabgeordneter aus Mannheim, Mitglied des Vorparlaments der Frankfurter Paulskirche, musste fliehen, nachdem die Revolution blutig niedergeschlagen war. Das Land der Verheißung waren die Vereinigten Staaten von Amerika. Sein Traum von Freiheit und Demokratie aber blieb ungeteilt, hier und dort.

Mit Hannah Arendt gründet sich die Freiheit, wenn sich die, die sich als Gleiche gegenseitig anerkennen, sich wechselseitig versprechen, ihre sie verbindenden Angelegenheiten fair, gerecht und solidarisch nach offenem und öffentlichen Diskurs für die gemeinsam geteilten Güter verantwortlich zu gestalten. Das ist der Moment des „Constitutio Libertatis“ (Hannah Arendt, On Revolution; dt. Über die Revolution, München 1963).

Wir Nachgeborenen stehen auf ihren Schultern: Friedrich Schiller, Friedrich Hecker, Hannah Arendt. Sie haben Baden und Württemberg geprägt. Hannah Arendt hat ihre Doktorarbeit, von Karl Jaspers betreut, an der Universität Heidelberg veröffentlicht. Die Landschaften unseres Denkens und Handelns haben sie umgepflügt.

Erhard Eppler war einer, der aus deren und eigenen Erkenntnissen seinen Mut bezogen hat. Früher als andere hat er hellsichtig das Grundproblem erkannt, welches die voranschreitende Moderne zu überwinden hat: sie muss das „stählerne Gehäuse“ des `fossilen Kapitalismus´ hinter sich lassen. Oikos Logos, das Geflecht der Beziehungen zwischen Kultur und Natur und Oikos Nomos, das wirtschaftliche Handeln, ist ganzheitlich in den Blick zu nehmen. Eine wirkliche Zeitenwende für ein humanes Zusammenleben beginnt, soweit Ökonomie ökologischen Zielen folgt und sich beide an den Grundwert Solidarität binden. Eine sich erweiternde und zugleich vertiefende Demokratie ist für diesen grundlegenden evolutionären Wandel zwingend.

Wer ins Gelingen verliebt ist und wer sich diesen Aufgaben stellt, der weiß: wer andere, bessere Antworten sucht, der braucht die andere und den anderen, damit seine eigene Sicht befragt wird, sich erweitert, sich ändert. So können wir ins Freie treten, aufrecht und unerschrocken, als aktive Bürgerinnen und Bürger einer zivilen Gesellschaft, die sich nicht trennen lässt vom Zusammenspiel mit anderen transnationalen Gesellschaften. So entsteht das Wissen um die universale Zusammengehörigkeit. Jeder Mensch hat das Recht, Rechte zu haben. Dies war die unumstößliche Antwort von Hannah Arendt auf den Versuch, die europäischen Juden kollektiv zu ermorden. Jede Zeit braucht ihre Antwort auf den Antisemitismus, der noch nicht vergangen ist. Das ist die nie vergehende Verantwortung aller und besonders für die Deutschen, die nach uns kommen. Und jede Zeit braucht ihre Antwort auf den Antiziganismus, der noch nicht vergangen ist.

Und auch das ist die nie vergehende Verantwortung aller und besonders für die Deutschen, die nach uns kommen. Mit jeder Zeitzeugin und jedem Zeitzeugen, die uns verlassen, endet die an die Person gebundene individuell gelebte Erinnerung. Der letzte, schlimme Verlust war Ruth Klüger.

Umso stärker muss das kulturelle Gedächtnis im Wissen der Menschen verankert werden. Mehr noch: sie müssen fähig werden, gegen jede Form des Antisemitismus und Antiziganismus aufzustehen und für das demokratische Miteinander in jedem Augenblick der Gefahr zusammen zu handeln. Jüdisches Leben gibt es, was wir heute Deutschland nennen, seit 1700 Jahren. Urkundlich erwähnt wurden sie zum ersten Mal 321 in Köln. Leben von Sinti und Roma gibt es seit 600 Jahren. Urkundlich erwähnt wurden sie zum ersten Mal 1407 in Hildesheim. Wir gehören zusammen. Wer uns trennen will, der verstößt sich selbst.

Deidre Berger, Romani Rose und Daniel Strauss danke ich dafür, dass sie mir helfen, immerzu darüber nachzudenken, was wir gemeinsam tun können, um rassistische Vorurteile zu durchbrechen. Wenn es heute Beauftragte gibt, um Antisemitismus national und international besser zu bekämpfen und auch den Antiziganismus, so konnten wir gemeinsam daran arbeiten.

Andreas Stoch und Peter Kurz danke ich dafür, dass sie mir zeigen, was es heute bedeutet, eine zweite Chance für die Moderne zu eröffnen – lokal, europäisch und global von Mannheim nach Brüssel nach Haifa nach New York und Großbritannien und Moldawien und China auch. Baden-Württemberg, hier ist die auto-Mobilität der Ersten Moderne erfunden worden. Hier stehen die Grundfesten des Laboratoriums für eine Zweite Moderne. Hier hat die Sozialdemokratie bereits 1925 in Heidelberg sich für eine humane Zukunft entschieden – für die `Vereinigten Staaten von Europa´. In der nächsten Mandatszeit des Landtags könntest Du, lieber Andreas Stoch, am Mut der Sozialdemokratie anknüpfen. Kurt Schumacher aus Württemberg war einer der schärfsten Gegner Hitlers.   

Gerhard Zambelli und Herbert Weisbrod-Frey danke ich dafür, dass sie mich begleitet haben auf einem langen Weg. Wir haben uns versprochen, zu tun, was in unseren Kräften steht, damit Steine weggeräumt werden, auf dem Weg zur Emanzipation. Menschen sollen für sich und für andere zugleich ihre Wege zur Freiheit und Gleichheit finden. Gewerkschaften sind dafür unersetzlich.   

Wir leben in turbulenten Zeiten. Zwei Pandemien greifen uns an: zuerst fordert das Virus die Menschheit heraus, die Bedingungen für ein gutes Leben neu zu denken. Mit dem Potenzial an wissenschaftlichen Fähigkeiten wird es möglich sein, die akuten Gefahren einzudämmen. Mit dem Potenzial an gesellschaftlichen Fähigkeiten werden Demokratien sich besser behaupten, die durch Covid 19 entstehenden Konflikte umzuwandeln in eine tiefgreifende reformorientierte Veränderung der politischen Verhältnisse. Die zweite Pandemie versucht, diese Konflikte manipulativ zu nutzen, um die Vernunft anzugreifen. So soll eine Herrschaft der Autokratie entstehen.

Michael Sandel erinnert uns mit seinem jüngsten Buch daran, „wie die Leistungsgesellschaft unsere Demokratie zerreißt“ und warnt vor dem „Ende des Gemeinwohls“: „The Tyranny of Merit. What´s become of the Common Good?“ heisst im Englischen präziser. Die virale Pandemie macht die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern sichtbar und tiefer. Daraus ergibt sich die Chance, multiethnisch, generationenübergreifend und international offen über Fragen der Gerechtigkeit zu debattieren. Amartya Sen wird morgen den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen. Er hat den Zusammenhang zwischen Identität und Gewalt auf dem Hintergrund seiner indischen Erfahrungen untersucht. Die Suche nach Identität führt dann in die Illusion, wenn, so Sen, sie sich gegen die Vernunft wendet.

Immanuel Kant schreibt in seinem dritten Definitivartikel zum ewigen Frieden vom „Weltbürgerrecht … ein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich neben einander dulden zu müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht6 hat, als der andere.“

Ernst Bloch, der in Heidelberg begann, am „Prinzip Hoffnung“ zu arbeiten, schließt das Buch furios mit diesen Sätzen. Sie rufen uns auf, der Demokratie jeden Tag neu unsere Kraft zu geben.

„Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte … Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, … sich an der fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

 

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AKTUELLES AUS DEM LAND

Am 9. Juni ist es so weit: In unseren Ortschaften, Gemeinden, Städten und Landkreisen wird gewählt. Viele engagierte Mitglieder in der SPD Baden-Württemberg haben in den vergangenen Monaten um Kandidierende geworben und spannende und abwechslungsreiche Listen aufgestellt.

Spätestens jetzt werden die letzten organisatorischen Weichen für die Wahlkampf-Phase gestellt. Aber nicht nur für die Kommunalwahl, sondern auch für die Wahl zum Europäischen Parlament.

Auf die beiden heißen Wahlkampf-Phasen wollen wir euch gemeinsam mit der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser einstimmen. Dazu laden wir euch alle herzlich am Samstag, 20. April um 9 Uhr ins Palatin in Wiesloch ein. Dabei sein wird unser Landesvorsitzender Andreas Stoch MdL, unser baden-württembergischer Spitzenkandidat für die Europawahl René Repasi und weitere aktive Kommunal- und Europapolitiker:innen.

Wir gratulieren Jan Hambach als frisch gewähltem Bürgermeister in Freiberg am Neckar! Mit knapp 80 Prozent der Stimmen haben sich die Freiberger:innen eindeutig entschieden.

Repasi: "Möchte mich in den Dienst der Europa-SPD stellen"

Die SPD-Europaabgeordneten haben soeben in Straßburg René Repasi, SPD-Europaabgeordneter aus Baden-Württemberg, zur neuen Spitze ihrer Delegation bestimmt. Der 44-Jährige wird in dieser Funktion die politische Arbeit der SPD-Abgeordneten steuern, sie in Zusammenarbeit mit den anderen Delegationen der Fraktion vertreten und ständiger Gast im Bundesvorstand sowie im Präsidium der SPD sein. Jens Geier hatte den Vorsitz der Gruppe seit Anfang 2017 inne und ihn zum heutigen Tag übergeben.

 

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